„Wo Wege zu Wäldern mutieren und Straßen im Nichts verschwinden, wo mein Osten zu deinem Westen wird und dein Osten in viel zu weiter Ferne liegt.“
Mit diesem Satz hat Jessy James LaFleur so ziemlich alles auf den Punkt beschrieben, was ziemlich vielen Menschen im Osten noch heute auf der Leber liegt. Mit dem Text „Einmal Heimat Und Zurück“ beschreibt LaFleur ihre Ankunft in der Oberlausitz. In Görlitz. Die, die in der Welt zuhause ist und in Ost-Belgien geboren wurde, lässt den Blick wandern über „die gleichen Hügel, dasselbe Grün, das mit der Abendsonne im Wolkenspiel versinkt.“ Hier spürt sie „die gleiche Tristesse, dieselbe Aufbruchsfantasie.“ Der Osten hat(te) es wohl auch anderswo schwer.
Mit diesem Beitrag möchten wir euch diesen ganz wunderbaren Text ans Herz legen. Weiter unten gibt es dann auch noch das feine Video zu „Einmal Heimat Und Zurück“. Inklusive Grenzenlos-Shirt.
Willkommen im Land, das keins ist, in einer Provinz, die keine Hauptstadt braucht, weil Europa sich hier längst Zuhause fühlt.Grüne Hügel und endlose Felder, so weit das Auge reicht, umsäumt von Grenzen und doch grenzenlos, liegt ein Unbezahlbarland im regionalen Nirgendwo.Immer am Rand und doch mittendrin, umgeben von Unterschieden, verschwimmt das Sein mit dem Drumherum, stets vergessen von der Innenpolitik, weil wir zu weit außen liegen. Hier existieren eigene Regeln, eigene Umgangsformen, fremde Worte, die sich in den Alltag mogeln, selbstverständlich mehrsprachig, hier komm ich her, hier wurde ich als Grenzgänger geboren.Hier lernte ich balancieren auf unendlich vielen Übergängen, hier fühl ich mich verbunden und doch so verloren; Auf Bahnsteigen, die sich von der Natur zurückerobern lassen, an Bushaltestellen, die keinen Bus mehr erwarten.Wo Wege zu Wäldern mutieren und Straßen im Nichts verschwinden, wo mein Osten zu deinem Westen wird und dein Osten in viel zu weiter Ferne liegt.Ich sehe deine Umrisse, blicke auf die gleichen Hügel, dasselbe Grün, das mit der Abendsonne im Wolkenspiel versinkt, spüre die gleiche Tristesse, dieselbe Aufbruchsfantasie.Ich kenne sie aus meiner Kindheit; Die Luft zum Atmen ist meine Heimat, weil sie nirgends so gut riecht wie hier, in deinen Armen, Ostbelgien mein vertrautes Wiegengebiet, bist nun die Oberlausitz, die erhoffte Zukunftsaussicht. Vergangenheit und Gegenwart verbunden durch eine Autobahn, die sich von einer Himmelsrichtung zur nächsten zieht und so geschichtsträchtig ist, dass sie sich selbst der Asphalt vor Ehrfurcht verneigt.Zwei geheime Komplizen, die sich vielleicht nie getroffen hätten, verbinden sich nun zu einer Einheit in meinem Herzen, das ohne Mauer und ohne Zollhaus die Strecke von der westlichsten zur östlichsten Stadt überbrückte, nur um herauszufinden, dass beiden Randgebiete identisch sind;Der einsame Kampf gegen die taubstumme Politik, das anders sein im eigenen Land, das viel zu klein, und doch viel zu groß, die Abwanderung, das harte Perspektivs-Los, und dazwischen noch mehr grüne Hügel und Weite, die für Züge unüberwindbar scheinen.Abgelegen, aber nicht abgeschlagen.So tanze ich munter weiter zwischen den bilingualen Fronten, teile mich in zwei Identitäten, aber immer mit dir im Gepäck, stehe ich sicher verwurzelt und nicht auf verbrannter Erde.Einmal Osten, immer Osten, egal wie weit dieser im Westen liegt, du bist der Bodenschatz und Blumentopf, den ich in meinem Rucksack mit mir führe.Nur hartnäckige Pflanzen lassen sich so leicht umtopfen wie wir Dorfkinder und bieten auch dem derbsten Sturm die Stirn.Wir sind keine Minderheiten wir kommen aus dem Land der tausend und einen Möglichkeiten, und auch wenn die sonst keiner sieht, können wir es trotz der Müdigkeit im Inneren spüren, aber weißt du; Manchmal muss man gehen, um dich besser zu verstehen, und riskieren, dass die Wege mich nie wieder zurück in deine Arme führen…weil ich mich in neuen verloren habe, die sich aber immer noch nach dir anfühlen.Es ist nicht dein Fehler, dass ich mein schweres Herz in dir zurücklassen musste. Du erinnerst mich an den Menschen, der ich war, vielleicht auch an den Menschen, der ich hätte werden können.Deswegen stehe ich nicht mehr im hohen Venn, ich erklimme jetzt die Landeskrone und blicke von hier oben auf das gleiche Schicksal, das uns im Herzen eint;Eine Welt, die uns hämisch unterschätzt und jede Menge Vorurteile.So liegt die Heimat nie in weiter Ferne, nur die Himmelsrichtung hat sich gedreht. Der Horizont ist immer noch der selbe und es bleibt der gleiche Kampf, den wir führen.Also klopfe den Schwarzsand ab und richte dich wieder auf mein Lieblingsland.Auch wenn du deine Kinder vermisst, tragen sie dich in ihren Rucksäcken mit und wenn sie sich nach dir sehnen, finden sie auch wieder zu dir zurück.Weil ein Zurückkommen nie Aufgeben bedeutet und du bist noch lang kein Kosmopolit, weil du in Millionenstädten lebst, du bist nur dann ein Weltmensch, wenn sich alle Aussichten und Ansichten zu einem Bild zusammenfügen.Wir Grenzgänger haben längst verstanden; Heimat liegt immer am Ende einer Autobahn und wo eine Abfahrt endet, beginnt auch eine Auffahrt, die uns wieder in die Fremde führt, eine Fremde, die sich am Ende des Tages wieder nach Zuhause anfühlt.